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Presse-Information
anlässlich der 32. Jahrestagung der Medizinischen Kontinenzgesellschaft Österreich (MKÖ)
13. bis 14. Oktober 2023


Kongressnachlese

Blase, Darm & Sex: Tabus finden – Tabus brechen

Wien, 6. November 2023 – Bei der heurigen Jahrestagung der Medizinischen Kontinenzgesellschaft Österreich (MKÖ) nahm man sich kein Blatt vor den Mund. Zwei Tage lang drehte sich alles um Tabus, denn Funktionsstörungen von Blase oder Darm sind nach wie vor mit Scham besetzt. Die Folge ist, dass Betroffene teilweise gar keine oder oft erst sehr spät entsprechende Hilfe finden. Erstmals fand der Kongress unter dem Ehrenschutz von Bundesminister Johannes Rauch statt.

Tagunspräsidentinnen v.l.n.r.:
OÄ Dr. Sophina Bauer, FÄ Dr. Kira Sorko-Enzfelder

Mitte Oktober trafen sich rund 400 Ärzt*innen, Pflegepersonen und Physiotherapeut*innen zu einem intensiven Austausch in den Räumlichkeiten des Landwirtschaftlichen Fortbildungsinstituts auf der Linzer Gugl. Heuer stand die Jahrestagung der Medizinischen Kontinenzgesellschaft Österreich (MKÖ) ganz im Zeichen des Unaussprechlichen. „Wir alle kommen aus Bereichen, wo wir täglich Tabus für und mit Betroffenen gemeinsam überwinden müssen. Die MKÖ-Tagung bietet einen einzigartigen Rahmen, das Thema im Zusammenhang mit Blasenfunktion, Stuhlentleerung und Sexualität aus multidisziplinärer Sicht zu diskutieren“, so die Tagungspräsident*innen OÄ Dr. Sophina Bauer von der Universitätsklinik für Urologie und Andrologie in Salzburg und Dr. Kira Sorko-Enzfelder, Chirurgin mit Spezialgebiet Coloproktologie am Krankenhaus der Barmherzigen Schwestern in Wien.


Tabu – Ein Begriff ohne Worte

Gleich zum Auftakt der Jahrestagung führte Tabuspezialistin Mag. Dr. Erna-Maria Trubel die Teilnehmenden in die Welt der Tabus ein, zeigte auf woher sie kommen und wo sie uns in unserer heutigen Gesellschaft überall begegnen. In einer urologisch-coloprotkologischen Doppelconference diskutierten Prof. Max Wunderlich und Prof. Wilhelm A. Hübner über die schmale Grenze, wieviel Inkontinenz für Betroffene und aber auch Ärzt*innen „normal“ ist. „Das Normal muss subjektiv immer dort aufhören, wo man beginnt zu leiden“ so Hübner. Wunderlich appellierte für Empathie und betonte: „Nonchalance ist ein No-Go. Sie lässt Betroffene in der Isolation zurück.“

Mag. Dr. Erna-Maria Trubel

v.l.n.r.: Univ.-Prof. Dr. Wilhelm A. Hübner, Univ.-Prof. Dr. Max Wunderlich

Weitere Themen waren psychologische Aspekte von Tabuisierung und Scham bei Inkontinenz, deren Entstehung durch die entwicklungspsychologische Prägung (als Kind gewinnt man durch das Sauberwerden Autonomie, bei Kontinenzproblemen gehen diese Autonomie und Selbstwert verloren), die Bedeutung gesunder Interaktionen zwischen Betroffenen und Behandlern und welche Schritte gesetzt werden können, um den Patient*innen empathisch zu begegnen. Dabei komme es auf die innere Haltung des Sprechens und nicht auf die Technik an, so der Appell.


Herausforderungen in der Schwangerschaft und nach der Geburt

Der Wandel unserer Gesellschaft hat viele der gynäkologischen Tabus beseitigt. So hätte bis vor wenigen Jahren keine Frau mit Menstruationsschmerzen diese als offiziellen Grund ihres Krankenstandes angegeben. Heute sind Menstruation, Schwangerschaft und Geburtserfahrungen salonfähig geworden. Auf der anderen Seite wurde etwa das Sprechen über koitale Inkontinenz schwieriger und neue Themen wie Geschlechts- und Identitätsfragen oder Genitalchirurgie finden sich heute gehäuft in der gynäkologischen Praxis.

Die wesentlichen schwangerschaftsbezogenen Indikationen in der coloproktologischen Praxis sind Obstipation, Hämorrhoiden, Condylomata acuminata (Feigwarzen) und die Vaginalfistel – allesamt Themen, die massiv tabubehaftet sind. Die Versorgung von Geburtsverletzungen wie Dammrisse oder Sphinkterverletzungen ist zwar fest in gynäkologischer Hand, braucht aber die Zusammenarbeit mit der Hebamme und die coloproktologische Unterstützung, um etwa Langzeitschäden an der Sphinktermuskulatur zu verhindern.


Inkontinenz als Folge der Krebstherapie
Für Männer bedeutet vor allem eine Prostataoperation eine kommunikative Schranke. In den meisten Fällen ist der Grund für den Eingriff eine gutartige Prostatavergrößerung. Bis zu neun Prozent aller Männer sind jedoch mit einer Krebsdiagnose konfrontiert. Zur Sorge um das Überleben kommt jene der Männlichkeit. Nach einer Prostatektomie sind Libido sowie Erektionsfähigkeit vermindert und die Operation kann eine Inkontinenz zur Folge haben. Mithilfe von Medikamenten und einer Vakuumpumpe bessert sich die Potenz in der Regel innerhalb von zwei Jahren und es gibt sehr gute operative Möglichkeiten, auch die Kontinenz wiederherzustellen. Zudem wäre eine Physiotherapie vor einer Operation wichtig, denn eine gute Wahrnehmung und Aktivierung des Beckenbodens erleichtert im Nachhinein die Erholung der Muskulatur beträchtlich.

Auch die Behandlung von Darmkrebs kann Kontinenzprobleme verursachen. Speziell nach einer Entfernung des Rektums (tiefe Rektumresektion) sind Darmfunktionsstörungen häufig. Die typischen Symptome sind Inkontinenz, erhöhte Stuhlfrequenz, schmerzhafte und fraktionierte Stuhlentleerungen und imperativer Stuhldrang. Sie werden auch als „Low Anterior Resection Syndrome“ (LARS) zusammengefasst. Präoperative Aufklärung und das Ansprechen von Tabus wie Sekretverlust sind daher sehr wichtig – vor allem wenn ein künstlicher Darmausgang gelegt werden muss.

In Österreich leben rund 15.000 Stomaträger*innen. Für sie sind der Kontrollverlust über Verdauung und Ausscheidung, Angst vor Geruch und Geräuschen sowie die Veränderung des Körperbildes zentrale Themen. Eine gut angelegte Stomaanlage beeinflusst die Lebensqualität der Patient*innen somit entscheidend. Enttabuisierung ermöglicht es den Patient*innen, ein gutes Leben inklusive einem erfüllten Sexualleben führen zu können. Das gleiche gilt für Hilfsmittel zur Inkontinenzversorgung, von denen es eine Vielzahl für den unterschiedlichsten Bedarf und individuellen Einsatz gibt. Auch sie sind für Betroffene eine unverzichtbare Unterstützung, um einen normalen Alltag leben zu können.


Abrechenbare Leistungen – auch ein Tabu?
Den Abschluss des ersten Kongresstages krönte eine Sitzung zu einem politisch tabuisierten Thema: Die Abrechenbarkeit der pflegerischen Leistungen. Eine Studie zeigte, dass pro Jahr allein im Raum Vorarlberg 400 Betroffene postpartum eine Kontinenz- und Stomaberatung (KSB) brauchen – eine Leistung, die durch Krankenhausträger nicht erbracht werden kann. Somit bleiben viele Frauen ohne entsprechende Versorgung. Dabei könnte eine frühe Beratung und Hilfe Langzeitschäden im Beckenboden verhindern und das Gesundheitssystem finanziell entlasten. Wolfgang Kuttner, der Vorsitzende des ÖGKV-Landesverband Oberösterreich, berichtete von ersten Erfolgen der seit Jahren bestehenden Diskussion zwischen Politik und Pflege: Die KSB darf ab Jänner 2024 selbstständig Verordnungen ausstellen und kann somit auch eigenständig im Rahmen ihrer Spezialisierung arbeiten. Im nächsten Jahr wird weiterverhandelt. Abrechenbare Leistungen für Beratung, Katheterwechsel und besonders Schulungen zum Einmalkatherismus würden eine Versorgung der Betroffenen im niedergelassenen Bereich ermöglichen. Was europäische Normalität und in anderen Ländern wesentliche Bausteine einer guten Gesundheitsversorgung sind, muss sich in Österreich erst etablieren. Solche Versorgungslücken zu schließen, hat sich die Plattform Heldyn zum Ziel gesetzt. Das Netzwerk umfasst 110 Pflegefachkräfte, die freiberuflich ihre Dienstleistung anbieten. Info unter www.heldyn.com

Auch die schlechten Möglichkeiten Harn- und Stuhlinkontinenz im niedergelassenen Bereich abzuklären, wurden zur Sprache gebracht. Derzeit betragen etwa die Wartezeiten auf urodynamische Messungen bis zu neun Monate und verzögern somit Operationen und Therapien. Diese Mehrkosten muss unser Gesundheitssystem tragen. Nur wenige Urolog*innen bieten in ihren Ordinationen urodynamische Abklärung an, da dies pro Untersuchung mehrere hundert Euro kostet.


Leben mit Behinderung
Der zweite Kongresstag startete mit Blasen- oder Mastdarmfunktionsstörungen aufgrund einer neurologischen Problematik. Um für diese Patient*innen realistische Therapieziele zu formulieren und zu verfolgen, ist eine enge Zusammenarbeit zwischen den behandelnden Urolog*innen bzw. Coloproktolog*innen, Kontinenz- und Stomaberatung und Physiotherapeut*innen essenziell.

Im Zuge des Beckenbodentrainings muss unterschieden werden, ob eine sensorische oder motorische Funktionsstörung im Vordergrund steht und ob eine Muskelkräftigung bei zum Beispiel fehlender Innervation überhaupt möglich ist. Der neurourologische Status mit Sensibilitäts- und Reflexprüfungen kann in vielen Fällen schon Aufschluss über therapeutische Ansätze geben. Ähnliches gilt für die sexualmedizinische Betreuung. Während es zahlreiche Daten und Therapiemöglichkeiten für nicht neurogene Funktionsstörungen gibt, stehen neurologisch Erkrankte oft nicht im Fokus. Gerade diese Patientengruppe benötigt oft eine gesonderte Herangehensweise. Während die aktuelle Studienlage zeigt, dass Patient*innen mit multipler Sklerose vermehrte Stimulation benötigen, braucht es bei Betroffenen mit Rückenmarksläsion oft eine Aufklärung, wie die fehlende Weiterleitung der zentralen psychischen Erregung zu den Endorganen über manuelle Stimulation und Reflexerektionen überbrückt werden kann. Der Appell: Behandler*innen müssen die Sexualanamnese dringend in ihre Routine aufnehmen, da diese Themen bei neurologischen Patient*innen besonders tabubehaftet sind und nur selten von den Betroffenen selbst angesprochen werden.



MKÖ Team mit Florian Dungl
v.l.n.r.:
OA Dr. Michael Rutkowski, FÄ Dr. Kira Sorko-Enzfelder, Florian Dungl, OÄ Dr. Sophina Bauer & OÄ Dr. Michaela Lechner

Mit welchen alltäglichen Herausforderungen man als Patient*in konfrontiert ist, erzählte Florian Dungl, der nach einem Badeunfall eine Querschnittsläsion erlitt. Er berichtete über Grenzen und Rückschläge, die er überwunden hat, sprach offen über Tabus, denen er im Lauf seines Weges begegnete und appellierte für mehr Barrierefreiheit. Heute ist Dungl Europa- und Weltmeister im Wakesurfen sowie Herausgeber des Inklusionsmagazins VALID, mit dem er Menschen mit Behinderung eine Plattform gibt (www.validmagazin.com).

Univ.-Prof. Dr. Andreas Wiedemann
Breite Aufklärung tut not
Im Rahmen der Tagung wurde auch der Bedarf an Aufklärung besprochen. Eine rezente Befragung von rund 700 Österreicher*innen ergab, dass es nach wie vor erhebliche Wissenslücken, aber auch mangelndes Interesse am Thema Inkontinenz in der Bevölkerung gibt. Social Media wurde als Möglichkeit diskutiert, relativ einfach ein tabuisiertes Thema in die Öffentlichkeit zu tragen. So könne beispielsweise mittels niederschwelligem Video der Unterschied zwischen normaler Damenbinde und einer Inkontinenzeinlage erklärt werden.

Prof. Andreas Wiedemann, Präsident der Deutschen Kontinenzgesellschaft, widmete sich dem Marketing-orientierten Tabubruch durch die Medien. In der TV-Werbung werden die Tabus um die Themen Harninkontinenz und Reizdarm aktiv gebrochen und das Thema in die Wohnzimmer gebracht. Allerdings solle auch die medizinische Abklärung und Therapie stärker zur Sprache kommen. Produkte werden als Problemlösung präsentiert. Somit bekommen die Menschen den Eindruck, Inkontinenz sei keine Erkrankung, sondern nur eine Frage der richtigen Einlage.

OÄ Dr. Sophina Bauer & Prof. Dr. Maximilian Gottschlich
Seinen jährlichen Höhepunkt fand der Kongress wieder am Pöstlingberg bei einem gemeinsamen Get-together. Den Festvortrag hielt Prof. Dr. Maximilian Gottschlich, ein Spezialist in der Patientenkommunikation. Er zeigte Wege auf, die kommunikative Gratwanderung zu meistern, um Tabus anzusprechen und nannte die Empathie als Schlüssel für eine gelingende Arzt-Patienten-Beziehung.


Zertifiziert und ausgezeichnet
Um die Entstehung von qualifizierten Anlaufstellen für Patient*innen mit Kontinenz- und Beckenbodenproblemen zu fördern und österreichweit einheitliche Qualitätsstandards in der Diagnostik, Therapie und Versorgung zu schaffen und zu sichern, bietet die MKÖ in Kooperation mit Quality Austria als unabhängiges und interdisziplinäres Expertengremium an, derartige Zentren zu zertifizieren. Im Rahmen des Kongresses erhielten heuer die Salzburger Landeskliniken (SALK) das Zertifikat „Kontinenz- und Beckenboden-Zentrum (KBBZ)“ verliehen. Das Krankenhaus der Barmherzigen Schwestern Wien / Landesklinikum Lilienfeld sowie das Krankenhaus der Barmherzigen Schwestern Ried wurden re-zertifiziert.

Martina Signer & das Team des Kontinenz- und Beckenbodenzentrums der Salzburger Landeskliniken


das Team des Kontinenz- und Beckenbodenzentrums KH Barmherzige Schwestern Wien / LK Lilienfeld mit M. Signer


M. Signer & das Team des KBBZ KH der Barmherzigen Schwestern Ried: Ingrid Zauner, DGKP/KSB & OA Dr. Franz Reichartseder

Das Resümee der Tagungspräsident*innen Bauer und Sorko-Enzfelder: „Die Tabus rund um Blase, Darm und Sexualität betreffen uns alle gemeinsam. Der multidisziplinäre Charakter der MKÖ-Jahrestagung ermöglicht einen Einblick in die Arbeitsweise verschiedener Berufsgruppen. Wir haben die Möglichkeit uns auszutauschen, voneinander zu lernen und die großen Herausforderungen zusammen zu bewältigen.“


v.l.n.r.: OA Dr. Michael Rutkowski, OÄ Dr. Sophina Bauer, FÄ Dr. Kira Sorko-Enzfelder & OÄ Dr. Michaela Lechner


SAVE THE DATE:
Die 34. Jahrestagung der MKÖ findet am
11. und 12. Oktober 2024
wieder im LFI Linz auf der Gugl statt.

 

MKÖ: Engagement seit über 30 Jahren
Blasen- und Darmschwäche sind ein häufiges Problem, welches zumindest zehn Prozent der österreichischen Bevölkerung betrifft. Begonnen hat die systematische Inkontinenzhilfe 1990 in Linz, als sich ein kleiner Kreis von Ärzt*innen, wie auch Angehörigen des diplomierten Gesundheits- und Krankenpflegeberufs und der Physiotherapie zusammenschloss. Seit Bestehen ist es das Ziel der Medizinischen Kontinenzgesellschaft Österreich (MKÖ), Maßnahmen zur Prävention, Diagnostik und Behandlung der Inkontinenz sowie der einschlägigen Forschung, Lehre und Praxis zu fördern. Dazu gehört die spezielle Schulung des medizinischen Fachpersonals ebenso wie die gezielte Öffentlichkeitsarbeit zur Information und Beratung von Betroffenen und ihren Angehörigen. Heute ist die MKÖ maßgeblich an der Vernetzung von Fachärzt*innen, Ambulanzen, Allgemeinmediziner*innen, Physiotherapeut*innen, Pflegepersonen und der Öffentlichkeit beteiligt. Einen wesentlichen Beitrag dazu liefern auch die seit 1991 jährlich abgehaltenen Jahrestagungen sowie die Kontinenz-Stammtische in Oberösterreich, Wien und Salzburg sowie die Kontinenzmeetings in Kärnten.

Kontinenz ist MKÖ!
www.kontinenzgesellschaft.at

 


Kontakt für
Journalisten-Rückfragen:
Elisabeth Leeb
[ PR-Beratung › Medienarbeit › Text ]
T: 0699/1 424 77 79
E: leeb.elisabeth@aon.at


Copyright Fotos:

alle Fotos © Viktor Andreas Haunold, Abdruck honorarfrei

Mehr Presseinfos und Bildmaterial in Printqualität gibt es auch unter www.kontinenzgesellschaft.at (Presse-Service)

 

 

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